Befindlichkeitswellen
Glücklicherweise sind wir nicht immer gleich gut drauf! Glücklicherweise? Na hör mal. Doch, doch, denn unsere Wahrnehmung basiert auf Kontrasten. Sobald etwas unverändert bleibt, nehmen wir es irgendwann nicht mehr wahr. Wenn du Haut an Haut mit deiner Geliebten oder deinem Geliebten unter der Decke liegst, nimmst du nach kurzer Zeit den anderen nicht mehr wahr, wenn keine Reibung mehr durch Bewegung entsteht. Du spürst nicht mehr, wo du aufhörst und der andere anfängt. Ein wenig bewegen ... ah, der andere ist noch da!
Kontrast hat in unserem Leben einen großen Stellenwert.Ohne ihn könnten wir nichts voneinander unterscheiden und es könnte keine Wahrnehmung stattfinden. In stockfinsterer Nacht sehen wir nichts. Ein Tier, vielleicht noch mit gelungener Mimikri, nehmen wir nicht wahr, solange es sich nicht bewegt. Meine Urgroßmutter pflegte zu sagen: »Immer gut angezogen ist nie gut angezogen.«
Ist ja alles schön und gut, weiß eh jeder, warum überhaupt erwähnen, geschweige denn etwas dazu schreiben?
Weil vor allem auch unser emotionaler Zustand dem gleichen Gesetz unterliegt und da ist bei Wellentälern jokes over. So heftig jokes over, dass wir zum Therapeuten gehen, um von unserer emotionalen Last befreit zu werden. Genau besehen sind wir eine Gesellschaft, die in zwei Richtungen drängt: allem Angenehmen mehr oder weniger hektisch entgegenhecheln und alles Unangenehme wegoperieren. Über Ersteres gibt es nicht viel zu reden - wenigstens nicht jetzt - aber das Zweite, das Wegoperieren ist schon einen scharfen Blick wert.
Ich glaube, es ist nicht zu viel gesagt, dass wir uns meistens mit dem Unangenehmen, ich sage jetzt einmal Leid dazu, nur insofern auseinandersetzen, als wir versuchen, es möglichst schnell und nachhaltig wegzubekommen. Das klingt ja auch logisch, denn wer lässt schon aus reinem Interesse den Finger in der Flamme, wenn es weh tut. Rausziehen, unters kalte Wasser, fertig. In diesem Fall schleicht sich nebenbei die Erkenntnis ins Unterbewusstsein, dass Flamme und Finger keine freudvolle Kombination ist. In diesem Fall haben wir es mit einem Leid zu tun, dessen Botschaft unkompliziert entschlüsselt werden kann.
Bei emotionalem Leid ist es nicht so einfach und auch nicht bei körperlichem, wenn die Ursache nicht so direkt zuordenbar ist. Körperliches, und damit meine ich Krankheit, ist meistens auch noch eine Folge davon, ein emotionales Leid länger immer wieder beiseite geschoben zu haben. Aber darum soll es jetzt nicht gehen, sondern um die Wellenbewegungen zwischen Wohl- und Unwohlsein.
Auch in der Natur ist nichts linear, alles pulsiert und selbst das Meer ist nie ganz ruhig, sondern atmet bestenfalls so flach, dass man es kaum wahrnimmt. Wellenbewegungen sind ein Grundprinzip in der Natur. Also finde ich es hilfreich, dieses Grundprinzip auch in unserem gefühlsmäßigen Raum willkommen zu heißen. Zum Beispiel bei der Trauerbewältigung ist bekannt, dass die Trauer nicht irgendwann einfach ausgeschaltet ist, sondern dass sie in Wellen wiederkehrt - allerdings in kleinerwerdenden.
Diese Wellenbewegung kann man auch bei allen anderen Veränderungen beobachten, etwa, wenn man sich vorgenommen hat, sich zu ändern. Wir erwarten dann von uns immer, dass von einem Augenblick auf den anderen alles anders ist. Das kann aber nicht sein, weil das alte Verhalten noch nachpulsiert. Das merkt man daran, als man dazu tendiert, in das alte Verhalten zurückzugleiten. Oder, wenn es gelungen ist, zu etwas nun eine positive Einstellung zu gewinnen, womit man vorher gehadert hat, in altes Verhalten zurückzufallen. Das wird nicht mit einem Schlag bereinigt sein, sondern das alte Muster pocht immer wieder an, als ob es kontrollieren wollte, ob man es auch wirklich beherzigt hätte.
Diese vermeintlichen Rückfälle sind lediglich die Wellen, die aus der vergangenheit an den Strand der Gegenwart schlagen. Sie werden schwächer. Es ist wichtig, um diese natürliche Bewegung zu wissen, um sich nicht demotovieren zu lassen. Denn es bedeutet kein Versagen!
Eine Möglichkeit, um mit den unweigerlich fälligen Wellentälern ein bisschen besser fertigzuwerden wäre, sich dann, wenn man auf einem Wellenberg sitzt, diesen Zustand aufzuschreiben, das volle Wohlbefinden zu verewigen. Im kommenden Wellental kann man sich dann diesen Zettel hervorholen und lesen, was man selbst geschrieben hat. Und wissen: so wird es wieder.
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