Opfer

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Opfer sein der eigenen Lebensumstände.

Ich bin, was Herkunft und Erziehung aus mir gemacht haben. Hat das Schicksal es gut mit mir gemeint, habe ich Glück gehabt. Haben sich aber meine Eltern scheiden lassen - mein Vater war zum Beispiel gewalttätig - und meine Mutter war etwa danach zur Alkoholikerin geworden, weil sie wirtschaftlich und emotional mit der neuen Situation nicht klarkam, dann habe ich einfach schlechte Karten. Aus geliefert. Pech gehabt. Oder Glück - je nachdem. Oder?

Das klingt logisch, finde ich, aber genauso hoffnungslos. Fühlt sich für mich an wie eine handvoll dahingestreuter Samenkörner, von denen ein paar wenige es schaffen, ihre Wurzelfädchen in die Erde zu versenken, während die meisten anderen vertrocknen. Vielleicht hat sie der Wind hinaus auf die Straße getragen. Oder sie sind ersoffen, weil sie der Regen in eine Pfütze gespült hat. Dumm gelaufen.

Oder ist doch alles ganz anders? Manche Leute munkeln ja etwas von einem freien Willen, der Menschen innewohnen soll und andere schwören aufs Wünschen. Man könne sich alles richten, nur verkehrt dürfe man es nicht machen. Zum Beispiel keine Zweifel haben, die machten alles zunichte. Also nur dann kein Opfer, wenn man die entsprechende Disziplin aufbrächte?

 

Das klingt alles nach Würfeln. Würfeln hat seinen Reiz, aber ich finde, wenn es um mein Leben geht, dann ist Reiz-Ende. Zufälle - und die wären es ja - haben keinen Platz in unserem genialen Universum. Zufälle keinen Platz ... manchmal nimmt es mir beinahe den Atem, wenn ich das zu Ende denke. Jede noch so kleine Handlung, Bewegung wirkt sich aus. Auf irgendetwas in irgend einer Weise. Wenn mir dieses Bild den Atem nimmt, dann ist es seine Präzision, die mich berührt. Doch ›kein Zufall möglich‹ hat auch noch seine zweite Seite: mir kann keine Willkür widerfahren. Diese Seite gibt mir mehr als die Macht zurück, die mir zuvor die Enge versucht hat zu nehmen.

Es gibt ihn nicht, den wir Zufall nennen; rein logisch schon kann es ihn gar nicht geben. Alles, wirklich alles bezieht seinen scheinbar statischen Zustand aus einem kräftemäßigen Gleichgewicht. Wäre nur der Ansatz eines Zufalls möglich, müsste dieses unfassbare große Gebäude ›Universum‹ in sich zusammenbrechen. Wenn es aber keinen Zufall gibt, können wir es verstehen.

Man kann das Universum nicht verstehen. Man kann Gott nicht verstehen - sofern man an ihn glaubt. Das übersteigt unser Vorstellungsvermögen. Dem stimme ich zu. Man kann Gott und das Universum und Ewigkeit und Unendlichkeit nicht verstehen. Aber man kann verstehen, wie die Regeln lauten, die sich wie reißfeste Fäden durch alles ziehen. Dafür ist es nicht notwendig, den verstehen zu können, der sie geschaffen hat. Ich muss auch nicht Degas’ Psyche verstehen können, um mir seine ›Blauen Tänzerinnen in der Pause‹ zu betrachten und dabei Licht und Pinselstrich zu studieren.

Weitergedacht sagt ›es gibt keinen Zufall‹ zugleich, dass es keine Willkür gibt. Wenn es keine Willkür gibt, dann befinde ich mich auch nicht ohne Grund in meiner jeweiligen Lage. Wenn das aber einen Grund hat - welchen denn, um Himmels Willen?

Darauf gibt es so wenig eine konkrete Antwort, wie es verschiedene Individuen gibt. Die Vielzahl ist grenzenlos. Aber es gibt eine Möglichkeit, sich an das Verstehen heranzutasten. Mit zunehmendem Verstehen wächst unser Vertrauen. Mit dem Vertrauen das Selbstbewusstsein. und mit all dem die Fähigkeit, die Opferrolle zu verlassen, und sich als selbstbestimmtes Wesen über das Leben auf diesem Planeten zu freuen.

Lass uns in den nächsten Wochen und Monaten diesen Weg gemeinsam gehen!

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