Körper

Bewertung: 5 / 5

Stern aktivStern aktivStern aktivStern aktivStern aktiv
 

Mein Körper ist das, was manchmal hinten weh tut, wenn man zu lange in abartiger Haltung im Sessel gefläzt ist - man sagt Rücken dazu - oder oben, wenn man zu intensiv gefeiert hat. Er ist das, was vielleicht zu dick oder zu dünn ist, zu faltig oder zu prall. Er ist das, was alt wird, der Geist bleibt jung. Er wird repariert, wenn er kaputt ist und versorgt mich mit teils Angenehmem, teils Entsetzlichem: den Emotionen. Keiner sagt ich Körper, sondern jeder mein Körper.

 

Mein Körper ist mein engster Gefährte, solange ich hier auf diesem Planeten wandere, mein Vertrauter, der mich sichtbar macht, durch den ich anderes sehen kann und durch den ich mit anderen kommunizieren kann. Er macht es möglich, dass ich Essen, Sonne und Sex genießen kann und hie und da macht er mir das Leben schwer, wenn er weh tut oder versucht, mich in Liebeskummer zu ersäufen. Auf jeden Fall ist er er und ich bin ich und das wird einem so gut wie nie bewusst. Im Gegenteil ist er selbstverständlich, wenn er funktioniert und Ärgernis, wenn er es nicht tut. Die Weltwirtschaft lebt zu einem großen von ihn und unsere Angst, dass er einmal den Geist aufgeben könnte. Jeder weiß um seinen Körper, aber niemand macht sich groß Gedanken über ihn, außer er ärgert einen. Dann hat er zu parieren - Schmerztabletten - oder er wird repariert - Arzt und Krankenhaus.

Ich war die meisten meiner vergangenen Jahre nicht anders. Und doch fiel mir irgendwann der Vergleich mit dem Reiter und seinem Pferd ein. Bereits im Wilden Westen war man sich klar über der Wichtigkeit des Reittieres: es bekam zuerst sein Wasser und Futter und erst dann begab sich der lonely traveller in den Saloon, um sich seinen ersten Whiskey zu genehmigen. Auch auf aktuellen Reiterhöfen werden die Pferde meistens freundlich behandelt. Sie haben ihre Box, wenn es regnet, bekommen Decken gegen das Erkälten und werden zuweilen bewegt. Ganz zu schweigen vom Füttern und Tränken.

Und unser Körper? Unser Verhältnis zu ihm erinnert eher an finsterste Sklavenzeiten. Wenn du nicht parierst, dann wirst du mit Aspirin ruhiggestellt. Genau das ist es, denke ich mir immer wieder, was wir von der Natur abschauen können: Gleichgültig, ob es der Körper ist oder ein Oleanderbusch zwischen den Leitschienen einer italienischen Autobahn: Natur murrt nicht ob der unangemessenen Arbeitsbedingungen, sondern sie tut, was sie kann, was in ihrem Rahmen möglich ist. Danke dafür. Denn wäre Natur so wie wir, dann würden die wenigsten Blumen blühen, überhaupt Gewächse wachsen, der Hund abhauen, Vögel bewohnte Gebiete meiden und der Körper pausenlos streiken. Ehrlicherweise dürfte man es niemandem von ihnen krummnehmen. Gleiches Recht für alle.

Was ich nicht möchte, mich darüber auszulassen, was wir Menschen für Ekel sind - das weiß ohnehin jeder, wenn er wenigstens zu sich selbst ehrlich ist - sondern es geht mir um die Beziehung zu unserem Körper. Wie schon gesagt ist er unser bester Freund, verlässt uns nie und bleibt nur einmal, ganz am Ende mit einem letzten Ausatmen zurück, während wir selbst unseren Weg fortsetzen. Der beste Freund, unser vertrautester Weggefährte! So vertraut, dass wir ihn gleich ganz übersehen. Und, was ja nichts Neues ist, ihn am unachtsamsten verletzen, denn die, die man am meisten liebt, verletzt man am beiläufigsten.

Lediglich dann, wenn unser Reittier einmal aufmuckt, weil es einfach zu viel wird, zu viel Rauch, zu viel Alkohol, zu viel Zucker, zu viel Stress und reagiert, blicken wir erstaunt auf ihn und sagen: »Hä? Was'n jetzt los?« Dabei tut er nichts anderes, als dass er auf Gegebenheiten antwortet.

Vielleicht sollten wir umdenken? So oft es mir einfällt, und wenn es nur mal kurz am Klo ist, wende ich mich bewusst meine geliebten Körper zu. Fühle in ihn hinein, stelle mir vor, wie treu seine Organe ihre Arbeit verrichten, diese sensationelle Fabrik für Hormone, Zellen, Säfte, die aufnimmt, verarbeitet und entsorgt. Er gibt meiner Seele Fenster, durch die ich die Welt wahrnehmen kann, schenkt mir die Fähigkeit, Düfte und Geschmack wahrzunehmen und zu genießen - oder auch nicht - beschert mir Beweglichkeit und arbeitet so präzise, dass ich neben meinen vollen Händen noch eine Dose, zwischen Unterarm und Kinn geklemmt, über die Stiege in den ersten Stock mitjonglieren kann. Wenn es im Ohr juckt, greife ich nicht daneben und nachts erinnert er mich verlässlich daran, dass man zum Pinkeln aufs Klo geht - okay, ganz früher war das nicht immer so.

Wenn eine Freundin oder ein Freund Schmerzen haben, dann pflegt man sie oder ihn, unterstützt und hilft und gibt schlimmstenfalls gute Ratschläge. Was tun wir für unseren besten Freund? Pillen und den Doktor, reparier mal, das stört mich jetzt.

Dieser Artikel soll ein Aufruf dazu sein, dass jeder von uns seinem kompromisslos treuen Weggefährten als solches schätzt und behandelt. Und ich muss zugeben, auch ich könnte das noch viel mehr und intensiver. Ich möchte mich bessern.

Ab jetzt.

 

Etwas anzumerken oder zu diskutieren ist zu diesem Beitrag hier im Forum möglich.